Es ist eine interessante Sache. Manche Dinge des Alltags sind uns so selbstverständlich geworden, dass wir ihre Existenz gar nicht mehr hinterfragen. Erst durch die ausbleibende Verfügbarkeit wird uns bewusst, dass etwas fehlt. Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch klimawandelbedingte Extremereignisse zeigen uns in Wien, wie es ist, wenn Freiraum nicht mehr „frei“ nutzbar ist. Von Stephanie Drlik

Expert*innen wissen schon lange um die Relevanz des städtischen Freiraums, um seine große soziale, kulturelle, ökologische, stadtklimatologische und auch wirtschaftliche Bedeutung für eine Stadtgesellschaft. Die Funktionen sind derart essenziell, dass man sie mit dem derzeit etwas überstrapazierten Terminus „systemrelevant“ versehen kann. Und die Fach-Community ist auch seit geraumer Zeit darum bemüht, den urbanen Freiraum als sogenannte „kritische Infrastruktur“ politisch zu positionieren. Scheinbar ist diese Mission noch nicht ganz gelungen. Zumindest kann man das aus den überraschten Reaktionen einiger Politikerinnen schließen,
als die Wiener Bevölkerung gegen Parkschließungen während des Covid-19-Lockdowns im Frühling 2020 aufbegehrt hat. Man könnte ja meinen, dass diese zivilgesellschaftliche und
oppositionspolitische Vor-Wahlkampf Aufregung gerade in Wien überzogen war. Schließlich wurde die österreichische Bundeshauptstadt, die über einen Grünanteil von mehr als 50 Prozent der Stadtfläche verfügt, erst unlängst zur grünsten Stadt der Welt gekürt. Da können sich
Städter*innen wahrlich nicht beschweren. Oder doch?

Sowohl die Corona-Pandemie als auch die Klimakrise haben gezeigt, dass auch der grünsten Stadt der Welt „Grün“ fehlt. Denn Grünflächen sind nicht gleichmäßig über den Wiener Stadtraum verteilt oder überall in der gleichen Qualität verfügbar. Es gibt innerstädtische Bezirke, die es auf kaum zwei Prozent Grünanteil der Bezirksfläche schaffen. Daher wäre es sinnvoll, nicht nur auf die Zunahme von Grünräumen, sondern auch auf ihre gleichmäßige und somit gerechtere Verteilung zu achten. Denn Grünraumgerechtigkeit schafft nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerechtere und nachhaltigere Stadtstrukturen. Übrigens im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Stadtgrün als systemrelevant auch wichtig ist die seit einigen Jahren stattfindende Etablierung des Begriffs „Grüne Infrastruktur“. Dieser Fachausdruck verdeutlicht den gesellschaftlichen Wert von Stadtgrün als Infrastrukturleistung und passt zum derzeit gebräuchlichen Jargon des Krisenmanagements. Kann die grüne Infrastruktur nicht mehr genutzt werden – egal, ob aufgrund von Schließungen oder weil die Angebote nicht vorhanden beziehungsweise nicht angemessen hergestellt oder gepflegt sind –, fällt sie aus dem Versorgungssystem. Für das gesunde Leben einer Stadtgesellschaft ist die grüne Infrastruktur jedoch systemrelevant und daher zur Verfügung zu stellen. Eine Tatsache, die für Landschaftsarchitekt*innen seit jeher selbstverständlich ist. Doch für so manche/n Entscheidungsträger*in war es doch ein ganz schönes Aha-Erlebnis während der Pandemie. Es sind halt oft die Krisenzeiten, aus denen man (hoffentlich) lernt.